Kultur besteht nicht nur aus Großveranstaltungen. Es gibt ein weitreichendes Repertoire für alternative Formate und viele soloselbstständige Kreative. Leider ist auf der täglichen Agenda der Medien wenig Platz, um die Lage der alternativen Kulturschaffenden darzustellen.
674FM ist Köln’s größtes Internetradio
Ca. 130 DJs und Radiomacher, über 250 Mitglieder und eine ständig steigende Zahl von Hörern glauben an das Projekt, das geführt wird wie ein Unternehmen – mit dem Unterschied, dass hier kein Gewinnstreben im Vordergrund steht.
2020 hatte 674FM gerade den ersten großen Umbau der Studiotechnik abgeschlossen. Viele Projekte, Kooperationen, Livesendungen mit Konzerten und Übertragungen von Musik-Festivals waren geplant. Bei etablierten Sendern und Unternehmungen wird über Kurzarbeit, Home-Office und der Fortführung von Projekten und Teammeetings via. Videokonferenzen diskutiert. Und darüber, dass den Menschen der soziale Kontakt, die Nähe und der Austausch zu den Kollegen fehlt.
Wie aber macht das nun ein Radiosender, der tägliche live On-Air ist?
Also ein gemeinnütziger Verein, der keine Werbeeinnahmen hat, kein Sekretariat, keine unternehmerischen Infrastrukturen. Das Herz von 674FM ist das stationäre Studio direkt am Aachener Weiher in Köln. Das Studio ist gleichzeitig das Vereinsheim des Senders. Begegnungspunkt, Studio, Club, Konzertraum, Wohlfühloase. In normalen Zeiten! Während der Pandemie sind maximal 2 Personen in dem Raum erlaubt.
Für eine kurze Bestandsaufnahme und Interview stand uns Karl-Heinz Müller (1. Vorsitzender von Radio 114 e.V., dem Trägerverein) Rede und Antwort.
AKTUELL: Wer braucht denn in diesen Zeiten ein Webradio wie 674FM?
MÜLLER: Eine dumme Frage…
AKTUELL: Scheinbar, aber Konsumenten und Rezipienten der Kultur unterliegen doch der Unübersichtlichkeit und dem Überschuss. Musik, Serien, Filme, Bücher, Streamingdienste, Sender…es gibt doch viel zu viel davon. Und die FAZ schrieb vor kurzem, dass die Grundversorgung ausreichend gesichert ist, egal wie lange der Shutdown dauert …
MÜLLER: …damit alle, die Zeit haben, sich auf das viele, das wir haben, zu konzentrieren, statt wieder dem Allerneusten hinter zulaufen?
AKTUELL: Genau! Ich sag’s mal so: 674FM ist doch auch nur ein weiterer Radiosender!?
MÜLLER: 674FM ist zunächst einmal die Heimat von 130 Radiomachern, Künstlern, Musikern und DJs. An das Talent, die musikalische Kurationsfähigkeiten und an die Kreativität dieser 130 Kulturschaffenden glauben über 250 Menschen, die 674FM mit ihren Beiträgen monetär und praktisch unterstützen. Denn 674FM ist auch ein Verein, der eine medien-pädagogische Aufgabe, aber auch eine extrem hohe soziale-interkulturelle Bedeutung hat. Und selbstverständlich haben wir auch einen Anspruch an unser Programm!
AKTUELL: …und das unterscheidet sich von anderen?
MÜLLER: Wir hecheln nicht dem Allerneusten hinterher! Unser Anspruch ist es die Musik zu spielen, die uns gefällt. Egal zu welchem Zeitpunkt und egal, ob wir damit Reichweiten erzielen. Die eigene Handschrift ist das Wichtigste!
AKTUELL: Wie kann sich das ein Außenstehender nun vorstellen in Zeiten der Pandemie? Einen Sendungsbetrieb durchzuführen und aufrechtzuerhalten, alleine für den technischen Ablauf…
MÜLLER: …sind doch bestimmt eine Menge von Mitarbeitern notwendig?
AKTUELL: …das wäre meine Frage gewesen!
MÜLLER: Wir haben ein Self-Execution-Konzept. Die täglichen Live-Sendungen von 16:00 Uhr – 22:00 Uhr werden von den Sendungsmachern nicht nur kuratiert, sondern auch von der technischen Seite weitestgehend selbstgefahren. Außerdem nutzen einige unserer DJs und Moderatoren die Möglichkeit der Vorproduktion aus dem Home-Studio. Die Sendung wird dann auf einen Server hochgeladen und in den Sendungsablauf importiert. Dafür haben wir im Laufe der Jahre eine sehr gut funktionierende Infrastruktur entwickelt. Die gewährleistet, dass nicht nur die Audio-Qualität den höchstmöglichen Standard gewährleistet, sondern auch die Sicherheit, dass Sendungen nicht laufen oder unterbrochen werden.
AKTUELL: Was passiert bei 674FM zwischen 22:00 Uhr und 16:00 Uhr?
MÜLLER: Auch in dieser Zeit, läuft nicht irgendeine wahllos zusammengestellte Playlist ab. Wir wiederholen Sendungen und befüllen die Automation mit Titeln, die zur Uhrzeit, zum Tag und vielleicht zur Situation passen. Die Grundlage dafür ist ein selbstentwickelter Algorithmus.
AKTUELL: Welche Bedeutung hat Corona für 674FM gehabt?
MÜLLER: Die Antwort auf diese Frage muss ich in kleine Scheibchen aufteilen: Das Fundament des Senders hat sich sehr gut weiterentwickelt und wurde gefestigt. Wir konnten unsere Mitgliederzahl ausbauen und auch binden. Wir hatten Zeit, um viele kleine Baustellen zu bearbeiten und uns Gedanken über die mittel- und langfristige Entwicklung zu machen. Zudem wurde der Technikausbau finalisiert. Die Wände sind natürlich etwas wacklig geworden. Viele geplante Aktionen, insbesondere die, die mit dem Kontakt von Menschen zu tun, haben, konnten nicht realisiert werden. So sind zahlreiche geplante Live-Konzerte und Parties ausgefallen. Wir konnten nicht zum Haldern-Pop-Festival fahren um dort unsere im Jahr 2019 begonnen Rolle als Festival-Radio fortzusetzen. Aber leider sind auch wichtige interne Veranstaltungen ausgefallen, z. B. unsere Mitgliederversammlung, geplante Fortbildungen und Workshops etc.
AKTUELL: Wurde denn vielleicht auch aus dem Schrecklichen etwas Strahlendes gemacht?
MÜLLER: Durchaus! So haben wir z. B. viel über Videostreaming und Übertragung von Konzerten, Performances gelernt. Wir haben die KulturRoute Süd als Broadcast an zwei Tagen übertragen und damit Künstler und Kulurschaffende unterstützt. Des Weiteren leisten wir für die freie Szene technische Expertise im Bereich REMOTE STREAMING. Natürlich im Rahmen unserer Möglichkeiten.
AKTUELL: Das Ende des Lock-Down bahnt sich an! Wie sieht die kurzfristige Zukunft bei 674FM aus?
MÜLLER: Wir werden nicht durchdrehen und verfolgen weiterhin die Politik der kleinen Schritte. Aber wir haben viel vor und sind sehr motiviert. Im Sommer werden wir nach langer Arbeit unsere neue Website präsentieren. Ein Riesenschritt für 674FM! Dann steht ganz oben auf unserem ToDo Zettel die Mitgliederversammlung, die für die Vereinskultur wichtig ist, aber auch die Möglichkeit einschließt, dass sich alle endlich mal wiedersehen und treffen können. Außerdem werkeln wir an der Renovierung des Studios. Denn unsere zunehmenden Videostreams, erfordern natürlich ein gut aussehendes Zuhause.
AKTUELL: Über Geld spricht man nicht! Aber uns interessiert, wie sich 674FM finanziert und welche Lücken es gibt!
MÜLLER: Das Wichtigste: 674FM ist kerngesund! Haupteinnahmequelle und Finanzbasis sind die Jahresbeiträge unserer Mitglieder. Damit decken wir unsere Fixkosten und tätigen Investitionen, die auf die Ziele unserer Satzung abgestimmt sind. Die zweite Einnahmequelle, von denen wir uns kleine Neuanschaffungen und Aktionen leisten können, generieren wir mit Getränkeverkauf im Studio,
AKTUELL: …welche ja nun leider versiegt war…
MÜLLER: …richtig! Aber dafür konnten wir uns auch mit den Themen Spendenmarketing und Kulturförderung beschäftigen. Das wird mittelfristig dann auch unser dritte Einnahmequelle sein. Der Verein steht, wie gesagt, auf einem guten Fundament, mit durch die Pandemie verursachten, leicht wackelnden Wänden und dem Plan ein schickes Dach drauf zu legen, welches weiterhin die modernste bestmögliche Technik für uns darstellt und somit einen hochprofessionellen Sendebetrieb gewährleistet, einem guten Plan zum Markenausbau und Hörergewinnung, dem Ausbau der Video-Technik und –kompetenz, der neuen Website und neuen und alten Kooperationen mit Freunden, Unternehmen, Institutionen und Organisationen.
AKTUELL: Karl-Heinz Müller, danke für Deine Zeit und Deine Worte!
Radioportale:
radio.de: https://www.radio.de/s/674fm
tune.in: https://tunein.com/radio/674FM/
Sendungsarchiv:
mixcloud.com: https://www.mixcloud.com/674FM/
Videoportal:
vimeo.com: https://vimeo.com/674fm
Facebook:
https://www.facebook.com/674FM
Kontakt:
Oliver Joerns / marketing@674.de